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Zu § 11

 

Der weitgehend überarbeitete § 11 greift den Regelungsansatz des bisherigen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages auf, dass Jugendschutzprogramme einen zeitgemäßen und gleichzeitig effektiven Jugendschutz im Internet gewähren können. Es wird der im Rahmen der Evaluierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages festgestellte Verbesserungsbedarf umgesetzt. Die Regelung steht in einem engen systematischen Zusammenhang zu § 5, soweit sich dieser auf Telemedien bezieht. Zunächst wird in § 11 konkretisiert, welche technischen Möglichkeiten einem Anbieter von Telemedien zur Verfügung stehen, um seine Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 Satz 1 durch technische oder sonstige Mittel gemäß § 5 Abs. 5 Nr. 1 zu erfüllen. Außerdem wird der Ansatz freiwilliger Kennzeichnungen aus § 5 Abs. 2 und 3 aufgenommen und an die Kennzeichnung werden konkrete Rechtsfolgen geknüpft, um Anreize zu setzen, damit Inhalteanbieter von der Möglichkeit der freiwilligen Alterskennzeichnung umfassend Gebrauch machen. Durch eine technisch auslesbare Kennzeichnung stellt der Anbieter sicher, dass seine Inhalte durch ein Jugendschutzprogramm nicht gefiltert werden und für Kinder und Jugendliche der entsprechenden Altersgruppe erreichbar sind.

Absatz 1 Satz 1 regelt, dass Anbieter ihre Verpflichtung aus § 5 Abs. 5 Nr. 1 entweder dadurch erfüllen können, dass sie diese Inhalte für ein geeignetes Jugendschutzprogramm programmieren (Nummer 1) oder die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Vorschaltung eines geeigneten Zugangssystems beschränken (Nummer 2).

Nummer 1 war inhaltlich übereinstimmend auch in § 11 Abs. 1 der bisherigen Fassung enthalten. Aus ihr ergibt sich, dass ein Anbieter, der seine Inhalte, die nicht absolut oder relativ unzulässige Angebote nach § 4 sein dürfen, für ein geeignetes Jugendschutzprogramm programmiert, ausreichende Maßnahmen getroffen hat, um die Wahrnehmung jüngerer Nutzer entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 1 auszuschließen. Die Programmierung setzt dabei eine technisch auslesbare freiwillige Alterskennzeichnung voraus, die den nach § 12 noch festzulegenden Standards entsprechen muss. Diese Wirkung kann darüber hinaus erst dann eintreten, wenn ein geeignetes Jugendschutzprogramm tatsächlich verfügbar ist. Bis dahin sind Anbieter auch bei einer Kennzeichnung verpflichtet, weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

In der Nummer 2 werden die übrigen technischen Mittel als Alternative aufgeführt. Diese werden in Absatz 4 Satz 2 ausführlicher geregelt.

Gemäß Satz 2 werden Zugangsvermittler verpflichtet, ihren Vertragspartnern Jugendschutzprogramme leicht auffindbar anzubieten. Da das Telemediengesetz bisher keine Definition des Zugangsvermittlers kennt, wird hier für den Geltungsbereich dieses Staatsvertrages eine eigene Legaldefinition des Zugangsvermittlers vorgenommen. Die Definitionen des Telemediengesetzes und das dort geregelte abgestufte Haftungssystem bleiben unberührt. Anknüpfungspunkt ist der Diensteanbieterbegriff nach § 2 Nr. 1 des Telemediengesetzes. Da dieser Begriff jedoch auch reine Anbieter, die den Zugang zu Inhalten Dritter vermitteln, z.B. Suchmaschinenanbieter oder Portale mit "user generated content" umfasst, ist eine weitere Einschränkung auf solche Diensteanbieter, die zu diesem Zweck aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung Telekommunikationsdienstleistungen nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes anbieten, erforderlich. Erfasst werden solche Diensteanbieter, die eine physikalische Anbindung eines Rechners an das Internet insgesamt als Dienstleistung anbieten.

Satz 3 stellt in diesem Zusammenhang klar, dass diese Verpflichtung nur gilt, soweit eine Jugendschutzrelevanz gegeben ist. Insbesondere bei gemischt privat und gewerblich genutzten Internetanschlüssen z. B. bei Arbeitszimmern von Freiberuflern ist eine solche Jugendschutzrelevanz nicht ausgeschlossen, da eine familiäre Mitnutzung eines Anschlusses erfolgen kann.

Um einen großen Teil der Nutzer zum Einsatz von Jugendschutzprogrammen zu bewegen, sollen diese Programme leicht auffindbar angeboten werden, keine unrealistischen Anforderungen an den technischen Sachverstand der Benutzer stellen und keine unangemessen hohen weiteren Kosten verursachen.

Da es das Ziel der Regelung ist, einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Lösungen zu ermöglichen, werden keine konkreten Vorgaben hinsichtlich des Preises, den ein solches Jugendschutzprogramm kosten darf, oder etwa der Anzahl der erforderlichen Klicks bis zur Installation des Jugendschutzprogrammes gemacht. Insoweit wird den verpflichteten Unternehmen zugetraut, dass sie verträgliche Lösungen erarbeiten, die zum einen wirtschaftlich zumutbar sind und zum anderen den Belangen des Jugendschutzes gerecht werden. Bei Neukunden wäre eine Positionierung im Rahmen der Einrichtung der Internetverbindung wünschenswert.

Die Verpflichtung der Zugangsvermittler berücksichtigt auch, dass es Unternehmen gibt, die bereits heute kostenpflichtige Jugendschutzlösungen anbieten, die nicht von Zugangsvermittlern vermarktet werden. Auch diesen Lösungen soll der Weg eröffnet werden, das Verfahren nach Absatz 3 zu durchlaufen.

Auch wenn die Verpflichtung der Zugangsvermittler an das Vorliegen eines schuldrechtlichen Vertrages anknüpft, wird kein unmittelbarer Anspruch des Kunden gegenüber dem Zugangsvermittler auf Überlassung eines Jugendschutzprogrammes begründet.

Absatz 2 greift einen wesentlichen Kritikpunkt an der bisherigen gesetzlichen Ausgestaltung der Jugendschutzprogramme auf. Bisher waren keine konkreten Anforderungen an die Eignung von Jugendschutzprogrammen vorgegeben. Mit den nunmehr in Satz 1 enthaltenen Voraussetzungen zur Eignung wird weitgehend an den jeweiligen Stand der Technik angeknüpft, da sich die technischen Möglichkeiten zur Umsetzung von Jugendschutzprogrammen ebenso weiter entwickeln werden, wie die an die Programme zu stellenden Anforderungen. Durch die in Satz 2 aufgeführten Mindestvoraussetzungen wird sichergestellt, dass Jugendschutzprogramme nur dann die in diesem Staatsvertrag vorgesehenen Wirkungen entfalten, wenn sie den Anforderungen, die von staatlicher Seite an den Jugendschutz zu stellen sind, genügen.

Satz 1 entspricht weitgehend dem bisherigen Absatz 3, doch wird als neues Element der "Stand der Technik" in die Formulierung aufgenommen. In Anlehnung an die immissionsschutzrechtliche Verwendung dieses Begriffs ist darunter der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen zu verstehen, der die praktische Eignung der Maßnahme im Hinblick auf die angestrebten Ziele insgesamt gesichert erscheinen lässt.

Auch wenn ein möglichst umfassender Schutz durch Jugendschutzprogramme erstrebenswert ist, der mit ebenso großer Präzision den Zugang zu allen Angeboten eröffnet, die für eine bestimmte Altersstufe keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung entfalten, dürfen die gesetzlichen Vorgaben die technische Machbarkeit nicht außer Acht lassen.

Die Medienwirtschaft hat sich bereits bisher intensiv mit der Entwicklung technischer Jugendschutzlösungen befasst und dabei erhebliche Anstrengungen unternommen. Die Ergebnisse dieses Engagements berechtigen zu der Annahme, dass die in Satz 2 aufgeführten, vom Stand der Technik abgekoppelten Mindestvoraussetzungen erfüllbar sind und auf dieser Basis eine dynamische Weiterentwicklung solcher technischer Jugendschutzlösungen zu erwarten ist.

Nach Satz 2 müssen Jugendschutzprogramme losgelöst vom Stand der Technik bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen, damit das in diesem Staatsvertrag angelegte System eines zukunftsfähigen und effektiven Jugendschutzes, der grundlegend auf Kennzeichnungen beruht, die von nutzerautonomen Filterprogrammen ausgelesen werden, erfolgreich sein kann. Die hier aufgeführten Voraussetzungen beschränken sich auf inhaltliche Anforderungen. Auf weitere allgemeine Anforderungen wie Benutzerfreundlichkeit, Hardware- und Softwareanforderungen wird im Interesse einer dynamischen Weiterentwicklung unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts verzichtet. Zu den Voraussetzungen von Satz 2 im Einzelnen:

Zu Nummer 1

Der Staatsvertrag verzichtet weitgehend auf die Vorgabe bestimmter Module, die in einem solchen Jugendschutzprogramm enthalten sein müssen. Das einzige Element, dass alle Jugendschutzprogramme beinhalten müssen, ist gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 eine Schnittstelle, die sicherstellt, dass eine nach § 5 Abs. 2 und 3 vorgenommene freiwillige Alterskennzeichnung, die den technischen Vorgaben nach § 12 entspricht, ausgelesen werden kann. Da sich die freiwillige Kennzeichnung nach Altersstufen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 richtet, bildet dies die wesentliche technische Grundlage für einen wirklich altersdifferenzierten Zugang. Das Verfahren, in dem die für die technischen Festlegungen dieser Schnittstelle festgelegt werden sollen, ist in § 12 geregelt. Ungeachtet dessen können bei der Festlegung des Standes der Technik einzelne bestehende Module wie die Positivliste von "fragFINN" oder das Modul der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ("BPJM-Modul") berücksichtigt werden.

Zu Nummer 2

Auch wenn davon auszugehen ist, dass Inhalteanbieter von der Möglichkeit der freiwilligen Kennzeichnung intensiven Gebrauch machen, werden Jugendschutzprogramme auch in großer Zahl mit nicht gekennzeichneten Online-Inhalten umzugehen haben. Dabei kann es sich sowohl um inländische als auch ausländische Inhalte handeln. Vor diesem Hintergrund bedürfen Inhalte, die für Minderjährige aller Altersstufen entwicklungsbeeinträchtigend wirken, besonderer Beachtung. Die Anforderung der Nummer 2 bezieht sich daher nur auf die durch das Programm zu treffende Unterscheidung, ob ein Inhalt Nutzern zugänglich gemacht werden soll, die unter 18 Jahre alt sind, oder nicht. Eine Differenzierung nach den Altersstufen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 wird in Nummer 2 nicht vorausgesetzt. Eine hohe Zuverlässigkeit ist auch bei der Erkennung absolut und relativ unzulässiger Angebote nach § 4 zu fordern. Gerade bei diesen Inhalten, die teilweise auch strafrechtlich relevant sind, müssen an Jugendschutzprogramme besondere Anforderungen gestellt werden. Dennoch wird auch hier kein absoluter, sondern nur ein relativ hoher Schutz zu erwarten sein. Der bisherige Stand der technischen Entwicklung hat gerade in diesem Zusammenhang einen vergleichsweise hohen Wirkungsgrad erreicht. Dagegen wird ein altersdifferenzierter Zugang derzeit nur durch die Nutzung von Kennzeichen möglich sein.

Zu Nummer 3

Nach Nummer 3 sollen Jugendschutzprogramme von den Verwendern, beispielsweise den Eltern, so eingestellt werden können, dass ausschließlich der Zugang zu gekennzeichneten Inhalten eröffnet wird. Insbesondere internationale Angebote werden jedoch gegebenenfalls keine spezifische Kennzeichnung nach deutschem Recht umsetzen, weshalb es insbesondere für ältere Jugendliche sinnvoll sein kann, einen weiteren Informationszugang zu ermöglichen. Dies setzt voraus, dass weitere Elemente enthalten sind, die aufgrund von automatischen Bilderkennungsverfahren, Black- oder Whitelists automatisierte Entscheidungen über die Filterung treffen. Nummer 3 erkennt die Existenz der technisch bedingten Phänomene „Over- und Underblocking“ für nicht gekennzeichnete Inhalte an und stellt im Hinblick auf die zu stellenden Anforderungen klar, dass diese zueinander in einem engen Zusammenhang stehen. Ziel ist es, den Zugang zum Internet weitgehend frei zu halten von Angeboten, die für die konkret eingestellte Altersstufe nicht geeignet sind. Verbesserungen sind vor allem im Rahmen der Weiterentwicklung des Standes der Technik zu erwarten.

Absatz 3 betrifft das Anerkennungsverfahren für Jugendschutzprogramme.

Satz 1 stellt vorab klar, dass die Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 1 nicht durch Programmierung für eine beliebige am Markt befindliche Jugendschutzsoftware erfolgt, sondern die Privilegierung der freiwillig vorgenommenen Alterskennzeichnung weitgehend davon abhängig ist, dass Jugendschutzprogramme auch anerkannt werden. Primär bleibt die KJM für die Anerkennung zuständig, die für die zuständige Landesmedienanstalt eine Entscheidung trifft, bei der ein Antrag auf Anerkennung eines Jugendschutzprogrammes eingegangen ist.

Satz 4 enthält eine Anerkennungsfiktion für den Fall, dass ein solches Programm von einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle positiv beurteilt wurde und die KJM das Programm nicht innerhalb von vier Monaten ab Zugang der Prüfergebnisse der anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle beanstandet hat.

Für die Beurteilung durch die anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle gelten ebenfalls die Voraussetzungen nach Absatz 2. Dabei hat die anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle auch zu prüfen, ob ein ihr vorgelegtes Programm dem Stand der Technik entspricht. Dieser muss nicht vorab abstrakt festgelegt werden, sondern kann inzident im Beurteilungsverfahren geprüft werden. Dies

bietet sich insbesondere dann an, wenn der anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle zeitgleich mehrere Programme zur Beurteilung vorliegen sollten.

Eine Beanstandung durch die KJM muss die wesentlichen Kritikpunkte enthalten und kann nicht damit begründet werden, dass eine ausreichende technische Überprüfung innerhalb der vier Monate nicht möglich gewesen sei. Die Frist von vier Monaten beginnt mit Übermittlung des Prüfergebnisses durch die Selbstkontrolleinrichtung. Das Programm selbst muss ebenfalls zur Verfügung gestellt werden. Satz 5 bleibt unberührt.

Gemäß Satz 4 2. Halbsatz wird der Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle ein § 20 Abs. 5 Satz 2 entsprechender Beurteilungsspielraum eingeräumt - dieser bezieht sich auch auf die Beurteilung des Standes der Technik.

Ein Jugendschutzprogramm muss nicht nur zum Zeitpunkt der Anerkennung dem Stand der Technik entsprechen, sondern diesen Stand auch künftig beibehalten. Entwickelt sich dieser Stand weiter, muss ein anerkanntes Jugendschutzprogramm an diese Weiterentwicklungen angepasst werden, um einen Widerruf der Anerkennung nach Satz 5 zu verhindern.

Die Regelung in Absatz 4 umfasst sowohl die in der Praxis als "Altersverifikationssysteme" oder "geschlossene Benutzergruppen" bezeichneten Zugangsbeschränkungen zu Inhalten nach § 4 Abs. 2 Satz 1 als auch weitere technische Mittel im Sinne von § 5 Abs. 5 Nr. 1. Bisher praktizierte und positiv bewertete Lösungen sollen dadurch ebenso wenig in Frage gestellt, wie neue Entwicklungen eingeschränkt werden.

Grundlage für die Regelung bildet die Praxis für geschlossene Benutzergruppen und Altersverifikationssysteme nach bisherigem Recht. Die Volljährigkeitsprüfung durch persönliche Identifizierung ist nach bestehender Praxis bereits jetzt die Grundvoraussetzung für eine positive Beurteilung eines Altersverifikationssystems durch die KJM.

Neue technische Ansätze, wie z.B. eine "Face-to-Face-Kontrolle" via Webcam oder ein künftiger Einsatz von elektronischen Identitätsnachweisen (Elektronischer Personalausweis) sind durch die Regelung nicht ausgeschlossen. Die entsprechenden Verfahren müssen jedoch die Sicherheitsanforderungen insgesamt erfüllen.

Satz 2 stellt klar, dass an Systeme, die den Zugang zu Angeboten unterhalb der Schwelle des § 4 Abs. 2 beschränken, Anforderungen je nach dem Grad der Entwicklungsbeeinträchtigung der Inhalte zu stellen sind. Während Inhalte, die erst ab 18 Jahren zugänglich gemacht werden dürfen, die Anwendung eines sehr hohen Schutzmaßstabs rechtfertigen, sind an die Vorschaltung eines technischen Mittels bei einem Angebot, das ab 12 Jahren nicht mehr entwicklungsbeeinträchtigend wirkt, geringere Anforderungen zu stellen.

 

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